Predigt am 20. April 1997 in Eisenberg - Jubilate -
65-jähriges Jubiläum des Frauenbundes Eisenberg
Dekan Theo Herzer
Kirchheimer Straße 2
67269 Grünstadt
Text: Johannes 15, 1 - 8
Der Frauenbund der Prot. Kirchengemeinde Eisenberg feiert seinen 65. Geburtstag.
Daß eine Gemeinschaft, die allein auf freiwilliger Basis ruht, ein
solches Jubiläum erreicht, ist alles andere als selbstverständlich.
Denn wir leben in einer schnellebigen und sich ständig wandelnden Zeit.
Mit ungeahntem Tempo ändern sich die Werte und unsere Formen des
Zusammenlebens. Nur weniges hat Bestand.
Groß ist die Vielfalt der Konkurrenzangebote. Kulturelle, politische,
sportliche Vereine, dazu eine Fülle von Hobbygruppen werben ständig
um neue Mitglieder. Viele dieser Gruppierungen sind nur kurzlebig.
Doch der Frauenbund hat schon viele überlebt. Das liegt sicher an seiner
inneren Substanz, die am Evangelium orientiert ist. Der Frauenbund ist das
Herzstück der Gemeinde. Was diese 285 Frauen für die Kirchengemeinde
bedeuten, was sie an Gemeinschafts- und Gemeinnützigkeitsaufgaben
übernehmen, ist sicher nur wenigen bewußt. Eine reiche
Segensgeschichte!
Eine Gemeinschaft lebt davon, daß es Menschen gibt, die sich als Teil
des Ganzen verstehen, in ruhiger Selbstverständlichkeit, so wie eine
Rebe ein Teil eines Weinstocks ist.
Mit diesem Bild sind wir schon bei dem Bibeltext, der für die heutige
Predigt vorgeschrieben ist.
"Christus spricht: Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der
Weingärtner. Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er
wegnehmen; und eine jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, daß
sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich
zu euch geredet habe. Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht
bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch
ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid
die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn
ohne mich könnt ihr nichts tun.
Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt,
und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie müssen brennen.
Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten,
was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. Darin wird mein Vater verherrlicht,
daß ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger."
In diesem Gleichnis redet Jesus von Frucht, nicht von Erfolg. Das ist etwas
ganz Unterschiedliches. Erfolg ist ein Begriff der modernen Arbeitswelt.
Erfolg wird geplant, gerechnet, produziert, gemessen, gewogen. Erfolg steht
unter dem Gesetz der Zahl. Industrie und Wirtschaft leben davon. Erfolg bleibt
sichtbar und meßbar. Wehe, wenn die Produktionszahlen
rückläufig sind. Im Nu wird der Manager gefeuert und die Arbeiter
entlassen.
Jesus redet von Frucht. Frucht hat etwas mit Wachstum zu tun. Wachstum ist
nie voraussagbar. Es bleibt ein Geheimnis. Frucht ist immer auch ein Geschenk.
Jede werdende Mutter weiß etwas davon.
Jesus hat den Weinstock gewählt als Gleichnis. Ein Weinstock ist eine
besonders geheimnisvolle Pflanze. Wenn wir jetzt durch die Wingerte gehen,
sehen die Weinstöcke immer noch trostlos aus. Wie abgedorrte fleischlose
Arme mit knöchernen Händen und kahlen Fingern ragen die Stöcke
aus der Erde. Die Rinde des Stammes sieht aus wie erstorben. Und doch sind
die Stöcke schon voller Leben. Aus den Schnittstellen tropft Saft. Die
Reben bluten, sagt man.
Aber es dauert nur noch wenige Tage, dann erleben wir in den Weinbergen wieder
unser grünes Wunder.
Aus den schwarzen Knochengerippen drängt gewaltiges Leben. Saftstrotzende
Reiser und hellgrüne Blätter schießen fast über Nacht
hervor. Bald ist das Laub so stark, daß die Seitentriebe herausgeschnitten
werden müssen. Und in ein paar Monaten wachsen die Trauben und damit
das edelste aller Getränke.
Ich bin der Weinstock, sagt Jesus. Vor der Bildkraft, die diesem Gleichnis
innewohnt, stehen wir gefesselt still und staunen und schauen.
Ich bin der Weinstock. Nie hat jemand ein demütigeres und zugleich stolzeres
Wort über sich selbst ausgesprochen als Jesus, wenn er sich einen Weinstock
nennt. Weinstock im Winter. Er hatte keine Gestalt noch Schöne; wir
sahen ihn, da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. (Jesaja 53)
Ja, es kam die Zeit, da diese Gestalt erstarb und in ein Felsengrab gelegt
wurde. Da war kein Leben mehr da. Rebstock im Winter.
Ich bin der Weinstock. Wir denken an den Frühling, den Sommer, den Herbst!
Wir sehen das Weinen und Bluten, wir sehen das emporbrechende Leben und sehen
die Früchte. Ein Gleichnis für die Osterbotschaft. Am dritten Tage
wieder auferstanden von den Toten. Das Wunder aller Wunder!
"Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in
ihm, der bringt viel Frucht. Aber ohne mich könnt ihr nichts tun."
Bleiben am Weinstock. Christus beschwört uns, an ihm zu bleiben. Die
Gesellschaft, in der wir leben, macht gerade das Experiment, ohne Christus
auszukommen. "Abschied vom Christentum" lautet der Titel eines Buches, das
vor einigen Jahren ein Bestseller war. Schlimmer als die Kirchenaustritte
ist die innere Loslösung von Christus. Doch Jesus warnt: Ohne mich
könnt ihr nichts tun. Anders formuliert: Ohne mich könnt ihr nur
das Nichts tun.
Auch das ist eine Erfahrung, die die 65-jährige Geschichte des Eisenberger
Frauenbundes geprägt hat. Nur ein Jahr, nachdem der Frauenbund
gegründet wurde, kam der Verbrecher an die Macht, der innerhalb von
12 Jahren Europa in Trümmer gelegt hat. Hitler hat sich ganz bewußt
von Christus abgewandt. Und viele andere mit ihm. Und das Ergebnis: Millionen
Frauen verloren ihre Männer, ihre Söhne, ihre Heimat. Viele
Städte und Dörfer - auch in der Pfalz - waren reine Ruinenfelder.
Wie sagt Jesus: Wer nicht in mir bleibt, wird weggeworfen wie eine Rebe und
verdorrt und man wirft sie ins Feuer. Ohne mich könnt ihr nur das Nichts
tun.
Die Älteren unter uns erinnern sich noch: 1945, die Stunde Null. Die
Männer waren gefallen oder in Kriegsgefangenschaft. Millionen Frauen
räumten den Schutt weg. Sie klopften Steine und flickten Dächer.
Kopftuch und Kittelschürze waren ihr Schmuck und Ehrenkleid. Sie hatten
schwielige Hände und einen leeren Magen, denn ihre Kinder hatten den
ersten Anspruch auf das knappe Brot. Wenn ich an meine eigene Mutter denke,
fallen mir diese Bilder ein.
Wer hat diesen Müttern je ein Denkmal gesetzt? Ich kenne keines. Wer
hat je eine Wanderausstellung im Münchener Rathaus oder in der Frankfurter
Paulskirche für sie organisiert? Mir ist davon nichts bekannt. Wer hat
diesen Frauen und Müttern je ein Bundesverdienstkreuz umgehängt?
Die Verdienstkreuze gibt man denen, die viel verdienen. Und dazu gehören
Frauen und Mütter nun einmal nicht. Im Gegenteil!
Kinderreichtum ist in unserer heutigen Gesellschaft Ursache und Ausdruck
von Armut. Die Mütter sind zur diskriminierten Minderheit geworden.
Eine der Tugenden, die heute in allen öffentlichen Reden am häufigsten
beschworen wird, ist die Solidarität. Als Grundwert ziert sie die
Parteiprogramme.
Als Kampfbegriff beherrscht sie die Tarifverhandlungen.
Als Allerweltsvokabel fehlt sie in keiner Kirchensynode.
Solidarität, damit wird Fürsorge und Verbundenheit mit jedermann
demonstriert. Mit Worten jedenfalls. Solidarität wird eingefordert.
Wenn nötig, mit Streiks, Blockaden oder Dienst nach Vorschrift. Wer
die Macht hat, setzt sich durch. Bahnarbeiter können Züge blockieren.
Müllmänner können Eimer überquellen lassen. Postangestellte
können Briefe 10 Tage lang liegen lassen. Würde das eine Mutter
mit ihrem Baby tun, wäre sie keine Mutter und eine Gefängnisstrafe
wäre ihr sicher.
Auch der Wohnungsmarkt hat längst gemerkt, daß die Familie nicht
mehr zu den Leitbildern zählt. Er bedient die herrschende Schicht.
Herrschend, tonangebend, leistungsfähig, zeitgemäß sind eben
Paare oder Alleinwohnende. In Hamburg und in München werden über
die Hälfte aller Wohnungen durch Singles belegt. Singles fegen die
Konkurrenz, nämlich Familien oder alleinstehende Frauen mit Kindern
mühelos vom Platz. Solidarität mit Familien? Nein danke.
Ein gesellschaftlicher Loslösungsprozeß, ein
Auflösungsprozeß ist im Gange, dessen Folgen uns noch schwer belasten
werden. Der Generationenvertrag wird aufgelöst. Eine Gesellschaft, die
sich von Jesus Christus löst, löst auch viele andere Bindungen.
Schließlich löst sie sich selbst auf.
Vom Bleiben redet Jesus. Er warnt vor der Abtrennung der Reben vom Weinstock.
Wachstum und Frucht brauchen Verbindung mit dem Weinstock.
Ich glaube, daß ein mitgliederstarker Frauenbund aus seiner
65-jährigen Erfahrung wichtige Beiträge zu leisten hat für
das Zusammenleben in dieser Stadt und in dieser Kirchengemeinde. Unser
Gemeinwesen lebt davon, daß wir uns nicht auflösen in lauter
Individualisten und Egoisten.
Doch die wichtigste Bindung bleibt die Verbundenheit der Rebe mit dem Weinstock.
Christus spricht: Wer in mir bleibt, der wird viel Frucht bringen. "Frucht"
öffnet für die Zukunft. Ein Frauenbund, der "in Christus bleibt
", hat damit Zukunft.
Amen.